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Im Fokus

Im Fokus SDG 4 Hochwertig Bildung: Lernen für eine zukunftsfähige Welt – Ein neuer Orientierungsrahmen stärkt Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Sekundarstufe II

“Buen Vivir” ist ein Konzept von Indigenen aus der Anden-Region, das Eingang in die Verfassung Ecuadors gefunden hat. Die Verfassung räumt der Natur Rechte ein, unter anderem das Recht auf ihre Existenz. Darum geht es zum Beispiel im Geographie- oder Ethik-Unterricht, wenn Schülerinnen und Schuler in Deutschland sich mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen. Sie lernen, dass es kulturell geprägt ist, welche Bedeutung wir der Natur beimessen. Und dass indigenes Wissen helfen kann, Lösungen für Klimawandel oder Umweltzerstörung zu finden. 

Im Deutsch-Unterricht lesen die Schülerinnen und Schüler Kurzgeschichten zum Thema Heimat. Dabei untersuchen sie die Frage, was Heimat bedeutet und wie sich das Konzept von Heimat durch Migration verändern kann. Sie ziehen Parallelen zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten über Migration und diskutieren, wie eine inklusive Gesellschaft gestaltet werden kann. Im Mathematikunterricht schließlich beschäftigen sich die Schüler*innen mit Daten über die Häufigkeit und Ausbreitung tödlicher Krankheiten wie Ebola. Oder mit Daten zu Unterernährung und Übergewichtigkeit weltweit. So lernen sie, wie Mathematik helfen kann, die Gesundheits- oder Ernährungsbedingungen in verschiedenen Ländern zu erfassen – als Grundlage für eine zielgenaue Entwicklungszusammenarbeit.

Diese Unterrichtsbeispiele aus dem neuen Orientierungsrahmen “Globale Entwicklung – Bildung für nachhaltige Entwicklung in der gymnasialen Oberstufe” zeigen: Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) gehört in alle Schulfächer und kann spannend und praxisnah sein. BNE trägt dazu bei, dass junge Menschen die Zusammenhänge in einer Welt mit vielfältigen grenzüberschreitenden Herausforderungen besser verstehen: Was hat zum Beispiel Wassermangel in anderen Teilen der Welt mit dem Avocado-Hype bei uns zu tun? Oder warum arbeiten Kinder für unsere Handys in Minen? BNE motiviert auch zum eigenen Handeln. Sie macht erlebbar, dass jede*r Einzelne etwas tun kann. Und sie vermittelt das nötige Handwerkszeug dafür. 

Der kürzlich erschienene Orientierungsrahmen ist das Ergebnis einer Kooperation der Kultusministerkonferenz (KMK) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Er ergänzt die Fachkapitel des bisherigen Orientierungsrahmen für die Sekundarstufe I. Damit stärken wir BNE als Bildungsprinzip nun auch systematischer in der Sekundarstufe II. Der Orientierungsrahmen dient Bildungsverwaltungen, Lehrkräften, Schulbuchverlagen und Zivilgesellschaft als Leitfaden, um Bildungspläne und Schulcurricula zu entwickeln. 

Das BMZ selbst setzt verschiedene Programm zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit um, und auch sie fußen auf dem Orientierungsrahmen. Zum Beispiel das Entwicklungspolitische Schulaustauschprogramm ENSA: Partnerschaften zwischen Schulen aus Deutschland und aus Ländern des Globalen Südens ermöglichen Schüler*innen seit 20 Jahren Perspektivwechsel, zum Teil mit lebensverändernder Wirkung über die Schulzeit hinaus. Wie bei Tobias Berndt. Als Schüler des Gymnasiums Martineum Halberstadt hat er an ENSA-geförderten Begegnungen mit Schülerinnen und Schüler aus Tansania teilgenommen. Nach dem Abitur war er dann über das weltwärts-Programm des BMZ als Freiwilliger wieder in Tansania. In seinem Kurzfilm zum Abschluss seines Bachelor-Studiengangs Medienbildung geht es um genau diese Erfahrungen. Mit dem Film will er zeigen, wie die Begegnungen wirken. Wie vielfältig Menschen und Lebenswelten sind. Und wie wichtig es ist, diese Vielfalt zu erleben: für das eigene Verständnis unserer Welt und für gemeinsames Handeln. Bis heute engagiert Tobias Berndt sich für die globalen Schulpartnerschaften. 

Der neue Orientierungsrahmen ist ein Beitrag zur Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) der Vereinten Nationen. Ganz konkret hilft er, SDG 4 – eine inklusive, gleichberechtige und qualitativ hochwertige Bildung – mit Leben zu füllen. Mit einem Fokus auf SDG 4.7, der Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen. Denn mit Bildung fängt alles an. Bildung ist ein entscheidender Hebel für nachhaltige Entwicklung. Sie ist wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre persönliche Zukunft und ihre Gesellschaften gestalten können. Das betrifft alle Lebensbereiche, etwa Arbeit, Klima- und Umweltschutz, Frieden und Demokratie oder Gesundheit, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft. Ohne Bildung funktioniert kein Wiederaufbau nach einem Krieg, kein demokratisches System und keine wirtschaftliche Entwicklung. In Bildung zu investieren, ist übrigens auch gut angelegtes Geld: Jedes zusätzliche Bildungsjahr erhöht den Jahresverdienst einer Person um etwa 9 Prozent – eine höhere Rendite als bei vielen anderen Investitionen. Deshalb arbeitet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft daran, das Menschenrecht auf Bildung für alle Menschen bis 2030 sicherzustellen. Es ist mir ein großes Anliegen, hier am Ball zu bleiben. 

Denn wir leben in einer Welt, die von Spaltung geprägt ist: Wir gegen die, die da unten gegen die da oben, “der Nationalstaat zuerst”. Das hat mit der Verbreitung von Desinformation und Hetze zu tun. Aber auch mit zunehmenden Ungleichheiten und komplexen Problemlagen, die schwierig zu durchschauen sind. Umso wichtiger ist es, dass Menschen globale Zusammenhänge verstehen. Dass ihnen klar ist, wie sich ihr Handeln auf Mensch und Umwelt auswirkt. Umso wichtiger ist auch die Fähigkeit, kritisch zu denken und Informationen zu hinterfragen. Und ganz entscheidend die Überzeugung, selbst etwas bewegen zu können. Der neue Orientierungsrahmen möchte Bildung für nachhaltige Entwicklung möglichst Vielen zugänglich machen. Weil es Menschen braucht, die Brücken bauen und gemeinsam eine friedliche, gerechte und nachhaltige Welt gestalten.

Reem Alabali Radovan, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 

Dezember 2025 

Der Artikel wurde im Rundbrief Bildungsauftrag Nord-Süd Nr. 125 veröffentlicht.