Der Bundestag hat einen, in den Länderparlamenten gab es bisher aber keinen: Thüringen hat als erstes Bundesland beschlossen, einen parlamentarischen Beirat zur Nachhaltigen Entwicklung einzurichten.
Thüringen nimmt die internationalen Verpflichtungen Deutschlands ernst: Bereits im Dezember hatte der Landtag mit den Stimmen der rot-rot-grünen Koalition einen Beschluss gefasst, wie das Bundesland die 2030-Agenda zur globalen nachhaltigen Entwicklung und den Weltklimavertrag der Vereinten Nation vor Ort umsetzen will.
Zum ersten Mal überhaupt in einem Bundesland richtet der Landtag in Erfurt damit auch einen „Parlamentarischen Beirat zur Nachhaltigen Entwicklung“ ein. Zwar gibt es in einigen Bundesländern eigene Nachhaltigkeitsräte oder wissenschaftliche Beratungsgremien, viele haben auch eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie formuliert. Einen Beirat auf parlamentarischer Ebene gibt es bisher allerdings nirgends.
„Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung des Bundestages ist dabei ganz klar unser Vorbild“, sagt Dagmar Becker, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Erfurt. Sie hat den Beirat gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Umweltausschuss, Tilo Kummer (Die Linke), im Landtag initiiert. Ein Selbstläufer war das neue Parlamentsgremium nicht. Vorangetrieben hatte ihn der Beirat zur Nachhaltigen Entwicklung in Thüringen, in dem Vertreter der Zivilgesellschaft sitzen. Dessen Vorsitzender, Ron Hoffmann, zugleich Landeschef des BUND, sagt: „Das hat einiges an Überzeugungskraft gekostet. Viele Parlamentarier haben uns gefragt: Warum noch ein Beirat, wir haben doch schon so viel zu tun?“
Drei Gremien für Nachhaltigkeit
Wann der Beirat erstmals tagt, ist noch nicht klar. Becker geht von März 2017 aus. Thüringen hat dann auf Landesebene drei Gremien, die sich um die nachhaltige Entwicklung kümmern: Eine Staatssekretärsarbeitsgruppe im Umweltministerium, dazu kommt der eben erwähnte, zivilgesellschaftliche „Beirat zur Nachhaltigen Entwicklung“, nicht zu verwechseln mit dem dritten Gremium, der jetzt neu gegründete parlamentarische Beirat. „In dieser Dreierkonstellation können wir in Thüringen viel bewegen“, sagt Hoffmann.
Das Bundesland hat sich in Sachen Nachhaltigkeit viel vorgenommen. So will sich Thüringen, um einige Beispiele zu nennen, bis 2040 zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen, die Landwirtschaft komplett auf Ökolandwirtschaft umstellen oder die Bildung für Nachhaltige Entwicklung stärken – dazu zählt auch, dass die Quoten von Schulabbrechern sinken sollen. Langfristig soll auch der Flächenverbrauch netto auf Null reduziert werden.
Das sind nur einige Beispiele aus dem Programm. Sämtliche Ministerien arbeiten momentan an Aktionsplänen, wie Nachhaltigkeit in den einzelnen Häusern umgesetzt werden kann. „Die ersten Pläne sind schon da und sehen vielversprechend aus. Die Idee, dass Nachhaltigkeit die Klammer für alle politischen Aktivitäten sein muss, ist angekommen“, sagt Hoffmann.
Wie der parlamentarische Beirat arbeiten wird
Welche Rolle der neue parlamentarische Beirat dabei genau spielen soll, wird noch verhandelt und muss dann in der Geschäftsordnung des Landtages verankert werden. Tilo Kummer und Dagmar Becker erläutern, wie er vom Grundsatz her funktionieren soll:
- Jeder Fachausschuss des Landtages entsendet ein Mitglied in den parlamentarischen Beirat zur Nachhaltigen Entwicklung.
- Der Beirat könnte im Rhythmus der anderen Ausschüsse tagen, also rund ein Mal im Monat. Beschlossen ist das aber noch nicht. Die Mitglieder des Beirates entscheiden selbst, welche Gesetze sie auf ihre Wirkung im Sinne der Nachhaltigkeit prüfen wollen. Wie diese Prüfung aussehen soll, ist noch offen. Dabei sollen nicht automatisch alle Gesetze geprüft werden. „Wir stoßen sonst zeitlich an unsere Grenzen“, erklärt Kummer. Er verweist auf drei Untersuchungsausschüsse im Landtag, darunter einer zur Terrororganisation NSU, sowie auf den Koordinationsaufwand, den eine Koalition aus drei Parteien mit sich bringt.
- Der übliche parlamentarische Ablauf bleibt, wie er ist: „Gesetze können, wie sonst auch, über die Fachausschüsse oder über Anträge im Plenum verändert werden“, erklärt Dagmar Becker. Dort müssten also auch Änderungen von den Mitgliedern des Beirates eingebracht werden.
Wirkung hängt vom Einsatz der Mitglieder ab
Bleibt die Frage, wie effizient und einflussreich der parlamentarische Beirat damit sein kann. Hoffmann sieht in dem neuen Gremium vor allem ein Instrument, dessen Wirkung vom Einsatz seiner Mitglieder abhängt. Ohnehin lasse sich Nachhaltigkeit nicht an einen Beirat delegieren. „Wir fordern, dass alle Gesetze und Verordnungen in Thüringen auf ihre Nachhaltigkeit überprüft werden“, sagt Hoffmann. Das aber müsse im gesamten Politikbetrieb verankert werden, angefangen bei den Ministerien.
Prinzipiell sei das Land, so Hoffmann, auf einem guten Weg bei der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit. 2011 hatte Thüringen eine Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet. Es gibt inzwischen auch Initiativen auf kommunaler Ebene, eine Übersicht findet sich auf der Homepage der Bundesregierung. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung koordiniert zudem ein neues, regional organisiertes Netzwerk von (vornehmlich zivilgesellschaftlichen) Nachhaltigkeitsakteuren – die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN). Konsortialführer für die Region Mitte (Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) ist der Verein Zukunftsfähiges Thüringen mit Sitz in Erfurt.
Die CDU hat im Landtag gegen den neuen Beirat gestimmt. Es gebe mit dem Beirat für Nachhaltige Entwicklung und der Staatssekretärs-Arbeitsgruppe bereits zwei Gremien, die sich mit dem Thema beschäftigten, so Pressesprecher Felix Voigt. Zudem sollte ursprünglich zwischen CDU und Regierungskoalition ein gemeinsamer Antrag zur Nachhaltigkeit erarbeitet werden, doch Rot-Rot-Grün habe sich den Ideen der CDU „komplett verweigert“. Die Partei habe Vorschläge gemacht, doch „leider wurden diese nicht einmal mit einer Antwort bedacht“, so Voigt.
Kritik von CDU und AfD
Eine Komplettumstellung auf erneuerbare Energien bis 2040 sei zudem nicht realistisch. „Weiterhin können wir einer nur ideologisch begründeten, radikalen und kurzfristigen Umstellung der konventionellen Landwirtschaft auf eine ökologische Landwirtschaft aus ökonomischen Gründen nicht zustimmen“, schreibt Voigt. Dennoch will die CDU Mitglieder in den neuen Beirat entsenden.
Doch die Suche nach Mitgliedern gestaltet sich schwer, sagt Tilo Kummer von der Linken: „Ich bin froh, wenn ich einen Freiwilligen in jedem Fachausschuss finde“, sagt er. Auch die AfD, die gegen den Nachhaltigkeitsbeirat gestimmt hat, will einen Vertreter entsenden. Der Antrag zum Beirat liefere keine konkreten Vorschläge, wie die Klimaziele erreicht werden könnten, ohne die Bevölkerung zu sehr zu belasten, schreibt ein AfD-Sprecher. „Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass der Beirat lediglich Lobbyarbeit für die Erneuerbare-Energien-Branche betreiben wird.“
Was Kummer positiv stimmt: Die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes ist unter der CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht verabschiedet worden. Im Prinzip herrscht also große Einigung, dass die darin formulierten Ziele richtig sind: „Thüringen ist historisch eine der Kernregionen nachhaltiger Entwicklung“, heißt es in der Nachhaltigkeitsstrategie.