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Baden-Württemberg: Land gibt „Witbooi-Bibel“ und Peitsche an Namibia zurück

Baden-Württemberg gibt die Bibel und Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi an Namibia zurück. Das Land stellt sich damit seiner historischen Verantwortung. Die Rückgabe ist ein wichtiges Zeichen im Prozess der Versöhnung und der Auftakt für eine gemeinsame Aufarbeitung der deutsch-namibischen Kolonialgeschichte.

Der Ministerrat hat heute der Rückgabe der Bibel und Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi an Namibia zugestimmt, die im Jahr 1902 als Schenkung in das von Land und Stadt Stuttgart getragene Linden-Museum gekommen sind. Die Rückgabe ist Teil einer Gesamtstrategie des Landes zum Umgang mit seinem kolonialen Erbe.

Baden-Württemberg stellt sich historischer Verantwortung

„Die Frage, wie wir mit Kulturgütern und anderen Objekten in unseren Sammlungen umgehen, die in kolonialem Kontext erworben wurden, wird immer stärker diskutiert – weit über die Museen hinaus. Auch in der Gesellschaft gewinnt das Thema an Relevanz, denn die Aufarbeitung der Vergangenheit ist immer Ausgangspunkt, um die Gegenwart zu verstehen. Baden-Württemberg stellt sich deshalb seiner historischen Verantwortung. Die Rückgabe der ‚Witbooi Bibel‘ und der Peitsche Hendrik Witboois an Namibia ist ein bedeutendes Signal und wichtiger Schritt im Prozess der Versöhnung“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats.

Im Rahmen des laufenden Nachtragshaushalts solle die erforderliche haushaltsrechtliche Ermächtigung eingefügt werden. „Damit wird die Grundlage geschaffen, dass wir die beiden Gegenstände zurückgeben können“, sagte Kunstministerin Theresia Bauer. Die Rückgabe von Bibel und Peitsche an Namibia ist in Baden-Württemberg die erste Restitution kolonialer Kulturgüter aus einem Museum.

Bibel wird voraussichtlich Ende Februar 2019 zurückgegeben

„Für Namibia ist die Bibel von höchster symbolischer und historischer Bedeutung“, betonte die Ministerin. Hendrik Witbooi war während der deutschen Kolonialzeit „Kaptein“ und einer der wichtigsten Anführer der Nama-Gruppen. Er ist heute ein Nationalheld Namibias, dem durch zahlreiche Denkmäler gedacht wird. Die Familienbibel mit handschriftlichen Anmerkungen von Hendrik Witbooi war sehr wahrscheinlich im Jahr 1893 bei einem Angriff auf Hornkranz, den Hauptsitz Hendrik Witboois, von deutschen Kolonialtruppen erbeutet worden, bei dem mit größter Brutalität vorgegangen und auch viele Frauen und Kinder ermordet wurden. Namibia hat daher um die Rückgabe gebeten. „Es ist mir ein großes Anliegen, die ‚Witbooi-Bibel‘ so bald wie möglich an das namibische Volk zurückzugeben“, sagte Bauer. Mit dem Botschafter Namibias und der namibischen Regierung sei vereinbart, dass sie die Bibel persönlich Ende Februar nach Namibia zurückbringe. Vom 10. Dezember 2018 bis zur Rückgabe werden die beiden Objekte nochmals im Linden-Museum zu sehen sein.

Mehr als Rückgabe: Gesamtstrategie zum Umgang mit kolonialem Erbe

„Baden-Württemberg kann und möchte bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit und ihrer Folgen Vorreiter sein und wird hier vorangehen“, betonte die Ministerin. Die Rückgabe von Objekten und Kulturgütern aus kolonialen Kontexten werde daher eingebettet in eine Gesamtstrategie, an der Museen, aber auch Universitäten und Archive beteiligt sind: „Wir wollen enger mit den Herkunftsgesellschaften zusammenarbeiten“, kündigte die Ministerin an.

„Die Rückgabe von Bibel und Peitsche in Namibia ist für uns der Auftakt: Wir wollen wissenschaftliche und kulturelle Kooperationen ausbauen und gemeinsam die deutsch-namibische Kolonialgeschichte aufarbeiten“, betonte die Ministerin. Dabei gehe es auch darum, auf deutscher Seite die Deutungshoheit aufzugeben („shared authority“). Ihr Haus stehe bereits in Verbindung mit den namibischen Partnern. Um künftige Kooperationen vorzubereiten, waren Ministerin Bauer im vorigen Jahr und Staatssekretärin Petra Olschowski Anfang Oktober dieses Jahres zu Gesprächen nach Namibia gereist. Für seine Namibia-Initiative stellt das Ministerium 1,25 Millionen Euro zur Verfügung. Ab 1. Dezember 2018 wird zudem ein von Land und Museum finanzierter Provenienzforscher für zwei Jahre gezielt den Namibia-Bestand des Linden-Museums mit namibischer Beteiligung erforschen und die seit 2016 geleistete Arbeit fortführen. „Wichtig ist insbesondere die Sammlungen zugänglich zu machen“, betonte Bauer weiter. Das Land unterstütze das Linden-Museum daher auch dabei, seine Sammlung ab 2020 online zu präsentieren. Ein Schwerpunkt bilde hierbei die Provenienzforschung.

„Bei der Aufarbeitung unseres kolonialen Erbes stehen wir am Anfang und haben einiges nachzuholen, sowohl in unseren Einrichtungen als auch was die rechtlichen Fragen angeht“, so Bauer. Mit dem Linden-Museum stehe ein wichtiger Partner bereit. Unter der Leitung von Professor Inés de Castro habe sich das Museum eine bundesweit anerkannte Kompetenz in der Provenienzforschung zu kolonialzeitlichen Objekten erarbeitet. Aktuell werde gemeinsam mit der Universität Tübingen der Abschlussbericht eines Provenienz-Forschungsprojekts vorgelegt – damit liege ein erster Überblick über kolonialzeitliche Objekte aus Namibia, Kamerun und dem Bismarck-Archipel in der Sammlung des Museums vor. „Darauf aufbauend müssen wir weiterarbeiten. Dies bildet die Basis für die künftige Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern an unseren Sammlungen“, so Bauer.

NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut bleibt im Fokus

„Der Umgang mit kolonialem Erbe steht aktuell besonders im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Dies wird aber in keiner Weise dazu führen, dass wir in unseren Anstrengungen zur Auffindung und Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut nachlassen“, betonte Ministerpräsident Kretschmann. Die baden-württembergische Landesregierung hat daher heute auch den Weg frei gemacht für eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage für die Rückgabe von Kulturgütern, die ihren jüdischen Eigentümern in der NS-Zeit entzogen wurden. Die Ermächtigung soll im laufenden Nachtragshaushalt als Ergänzung des Entwurfs des Staatshaushaltsgesetzes aufgenommen werden.
Familienbibel der Witboois kam 1902 an das Linden-Museum

Bei der Familienbibel handelt es sich um ein in Nama verfasstes Neues Testament aus dem Besitz von Hendrik Witbooi, mit Eintragungen unter anderem von Hendrik Witbooi, Christina Witbooi und Salomo Witbooi. Die Bibel gelangte laut Inventarbuch des Linden-Museums 1893 während eines Angriffs auf Hornkranz, Witboois Hauptsitz, in die Hände deutscher Militärs und später in den Besitz des in Berlin ansässigen Hofrat von Wassmannsdorf. Dieser war zwischen 1895 und 1898 als „kommissarischer Intendant für die Schutztruppe und Chef der Finanzverwaltung“ in „Deutsch-Südwestafrika“ tätig. Die Bibel und die Peitsche kamen 1902 als Schenkung des Hofrats in die Sammlung des Württembergischen Vereins für Handelsgeographie (der Verein ist Gründer des 1911 eröffneten Linden-Museums).

Beide Objekte wurden 2007/08 in der Sonderausstellung „Von Kapstadt bis Windhuk: „Hottentotten“ oder Khoekhoen? Die Rehabilitierung einer Völkergruppe“ anlässlich des 100. Jahrestags des Widerstandskriegs der Nama gegen die deutsche Kolonialherrschaft ausgestellt. Ansonsten waren die Objekte nicht im Linden-Museum ausgestellt. Die Bibel war Leihgabe an das Deutsche Historische Museum zur Ausstellung „Deutscher Kolonialismus“ im Jahr 2016/17. Vor der Rückgabe an Namibia werden Bibel und Peitsche ab 10. Dezember 2018 nochmals im Museum zu sehen sein.

Provenienzforschungsprojekt „Schwieriges Erbe“

Objekte aus kolonialem Kontext finden sich insbesondere in den ethnologischen, historischen, archäologischen und naturkundlichen Museen, aber auch in universitären Sammlungen.

Die im Rahmen des mit der Universität Tübingen durchgeführten Provenienzforschungsprojektes „Schwieriges Erbe“ von 2016 bis 2018 untersuchten Regionalbestände des Linden-Museums umfassen zusammen ca. 25.300 Objekte der insgesamt 160.000 Objekte des Museums. Davon entfallen ca. 2.200 Objekte auf Namibia, 6.600 auf den Bestand aus dem Bismarck-Archipel (Papua-Neuguinea) und 16.500 auf Objekte aus Kamerun.

Lindenmuseum: Provenienzforschungsprojekt „Schwieriges Erbe“

Staatsministerium Baden-Württemberg